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Was ist typisch deutsch? lautete die Frage der academia

Was ist typisch deutsch? Punkte wie Disziplin, Debattenkultur, Pünktlichkeit, Perfektion, Strebsamkeit oder den preußischen Fleiß hier anzuführen könnte man im günstigsten Fall noch als ideenlos bezeichnen. Denn dies würde implizieren, dass es für alle Deutschen gilt und für alle Nicht-Deutschen eben nicht.

Bei den zahlreichen Facetten unseres Landes und den teils unterschiedlichen kulturellen Hintergründen ist die scheinbar leichte Frage, gar nicht so leicht zu beantworten. Wir sind sicherlich kein multikulturelles Land, auch wenn bei uns sicher vieles akzeptiert wird. Doch eine erkennbare deutsche Leitkultur sorgt dabei stets für Anpassung und Orientierung und lässt dennoch Raum für Eigenheiten und Gemeinsamkeiten. Selbst die scheinbar endlosen Genderdebatten des Volkes der Dichter und Denker oder die politische Frage, ob man den Begriff Deutschland prominent verwenden sollte, sind in dieser Leitkultur ohne Wenn und Aber möglich.

Deutschland brauchte lange um ein Land zu werden. Die Menschen brauchten Jahrhunderte um sich als Deutsche zu verstehen. Wer sind wir? Woher kommen wir? Die Fragen trieben die Menschen an, sie spiegeln sich auch im Liedgut wider. „Was ist des Deutschen Vaterland“ kann man hier anführen. Die deutschen Frage scheint mit der Wiedervereinigung 1990 ihr Ende gefunden zu haben. Und doch ist die zentrale Frage, wer wir Deutschen sind und wer dazugehört, eigentlich noch immer nicht beantwortet. Doch genau diese Frage bildet die Basis dafür aus, was denn überhaupt typisch deutsch sein könnte. Heute haben wir noch immer die zahlreichen Brauchtümer, Eigenheiten und Traditionen in den Bundesländern, Deutschland weist viele Glaubensgemeinschaften und Religionen auf und auch ansonsten mangelt es nicht an Unterschieden, die auch gerne mal gepflegt werden und manchmal etwas sticheln. Ich erinnere mich immer wieder gerne an den aufgehängten Spruch im Stab der Luftlandebrigade 26 eines bekennenden Bayern: „Its nice to be a Preiss, but its higher to be a Bayer“. Und wer will einem Menschen mit Migrationshintergrund allen Ernstes verbieten, dass er und seine Nachkommen sich hier als Deutsche sehen? Vor allem, wenn sie Deutschland als ihre Heimat ansehen, die Sprache beherrschen, hier lernen und arbeiten. Meine eigene Vorfahren stammen, wie wir Saarländer heute noch sagen „aus dem Reich“, aber als Hugenotten auch aus Frankreich. Wann ist man lange genug hier, damit die eigenen Eigenheiten und Traditionen als „typisch deutsch“ zählen dürfen? Ist ein Saumagen mit Sauerkraut tatsächlich deutscher, als ein Baguette im Saarland oder eine Soljanka im Osten? Meine Ur-Verbindung Carolus Magnus wurde während der Zeit des Saarstatutes gegründet, ihre Traditionen waren von Anfang an die Traditionen des deutschen Cartellverbandes, sie trägt den Namen eines hochgeehrten Mannes in Deutschland und Frankreich, die Frage der Wiederangliederung spaltete auch meine Bundesbrüder. Ein eigenes Land wie Luxemburg, mit bestens Aussichten durch seine besondere Beziehung zu und seine Lage zwischen Deutschland und Frankreich – und dennoch zog es die meisten Bundesbrüder zurück nach Deutschland. Irgendetwas typisches Deutsches hat sie doch wohl angezogen. Und dennoch, als Saarländer lieben wir unseren Flammkuchen, ein wenig Laissez-faire, wir betonen viele unserer französischen Begriffe etwas korrekter, wir schmunzeln, wenn wir den Hinweis „Saarfranzosen“ mit einer höflichen Nachfrage, ob Sans Souci noch steht, kontern.

Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass es nicht die typisch deutsche Eigenschaft gibt. Für mich stellt sich Deutschland äußerst facettenreich dar und ein Land in dem viele Menschen ihre eigenen kulturellen Besonderheiten mit einbringen. Ein spannender Schmelztiegel seit Jahrhunderten, der uns und unsere Nation definitiv nicht hat ärmer werden lassen: weder wirtschaftlich, noch wissenschaftlich, noch kulturell. Eine gemeinsame Sprache, eine typisch deutsche Leitkultur, die an sich schon schwer zu erklären ist und nicht selten mit Stereotypen umrissen wird, könnte man wohl anführen. Aus meiner Sicht ist Deutschland viel zu abwechslungsreich und vielschichtig, um ein typisch deutsches Element klar und mit wenigen Worten benennen zu können.

Unser Deutschland wuchs über viele Jahrhunderte zusammen, indem neue Menschen, neue Ideen, neues Brauchtum und neue kulturelle Impulse es bereicherten. Vielleicht zählt auch dieser Mut neue typisch deutsche Elemente hinzuzufügen, zu den Punkten, die wirklich typisch deutsch sind.

 

 

📄 ACADEMIA 2021-4Art

 

15. August 2021     | Betrachtung

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